- JUBILÄUMSJAHR  2006  IN KALDENKIRCHEN -

Vortrag von Dr. Paul Schrömbges

Tabak- und Zigarrenindustrie

in Kaldenkirchen  

1.           Drei Vorbemerkungen 

2.           Ein zugelaufenes Kind aus dem Jahre 1865 

3.           Zu Hause und in der Fabrik 

4.           Phasen der Geschichte der Kaldenkirchener Tabak- und Zigarrenindustrie 1865-1972 

5.           Was bleibt?

 

 

 

 

I. Teil: Grundsätzliches

 

1. Drei Vorbemerkungen

 

  1. Die Vorgeschichte eines Luxusartikels

Der Tabak gelangte aus Amerika durch Kolumbus & Co nach Europa und wurde dort seit dem 16. Jahrhundert angebaut. Tabacco bezeichnete zunächst die Rauchröhre der Indianer (Pfeife). Das Rauchen kam an den Höfen rasch in Mode, zunächst unter Philipp II. in Spanien (auch als Zierpflanze), Frankreich und England (Sir Walter Raleigh 1586 – Anekdote)). Tabak wächst in Tropen und gemäßigten Zonen und ist sehr frostempfindlich. Robuste sog. Bauerntabake (grüne, schwarze) kommen auch in kühleren Regionen vor. Im 17. Jahrhundert verbreiteten schwedische Soldaten das Rauchen in Europa.

In Preußen wurde 1720 die erste Tabakfabrik errichtet.

 

  1. Tabakkonsum

Verwendung

- als Rauchtabak: in Pfeifen (Feinschnitt)

- als Zigarre/Zigarillo: ursprüngliche in Amerika verwandte Rauchkultur: einrollen in Tabakblätter (Wickel/Puppe, Umblatt, Deckblatt), heute zumeist maschinell aus gemahlenem Tabak hergestellte Folie

- als Zigarette: Feinschnitt, ursprünglich von Maisblättern umwickelt, dann mit Papier

- als Kautabak (Pfriem)

 

      3.   Tabakgeschichte        

- zunächst als Pfeifenrauchen und Kautabak

- seit dem 18. Jahrhundert kommt die Zigarre auf  (französische Soldaten), 1788 in Hamburg erste Zigarrenfabrik, seit Mitte des 19. Jahrhunderts große wirtschaftliche Bedeutung (Symbol des Kapitalisten)

- Zigarette (Zigarillo anders verarbeitet): ursprünglich mit Mais umwickelt (Zentralamerika) beim Krimkrieg (1853-56) erstmals in Europa verbreitet, Importe aus Russland und der Türkei nach Europa; 1862 erste Zigarettenfabrik bei Dresden; Zigarette als Massenkonsummittel im 20. Jahrhundert

 

 

2. Ein zugelaufenes Kind aus dem Jahre 1865

 

-          Tabakanbau und –verarbeitung hatten in Kaldenkirchen im Unterschied zur Textil– und Tonverarbeitung keine natürlichen Grundlagen.

-          Tabakkonsum ist im Unterschied zu Textil und Ton kein Produkt der unmittelbaren Daseinsvorsorge, sondern ein Luxusartikel.  

-          Zigarrenkonsum war auch ein Symbol für einen sozialen Aufstieg, das klassische Epiteton eines Kapitalisten im 19. Jh. – eine Ausweitung des Zigarrenkonsum ‚für kleine Leute’  war auch ein sozialpolitisches Zeichen.

-          Die Ansiedlung der Tabak- und Zigarrenindustrie ist Produkt einer wirtschaftshistori-schen Gemengelage in der Mitte des 19. Jahrhunderts: ein zugelaufenes Kind der Kaldenkirchener Wirtschaftsgeschichte

 

Vorläufer:

1823: Tabaksfabrikant Meinhard Zillessen pachtet 1823 Gendarmeriegebäude (ehem. Kloster)

Fabrik von Taback und Cichorien nebst Handel mir Spezerei- und Materialwaren (Kolonialwarenhandel). 1858 schließt Heinrich Cornel Kauwertz eine Cigarrenfabrik

 

5 Rahmenbedingungen zum Durchstarten für die Entwicklung einer monostruktur-haften Tabaks- und Zigarrenindustrie: 

- Entwicklung des Ruhrgebietes (Stahl-, Kohleindustrie mit hohen Löhnen) und Veränderung des Arbeitsmarktes ebendort, Verlagerung von der Rheinschiene einschl. Strukturen (z.B. Tabak aus Bremen und Hamburg, nicht aus den Niederlanden)

- Niedergang der Textilwirtschaft und arbeitsloses Arbeitnehmerpotential in Kaldenkirchen

- verkehrliche Anbindung Kaldenkirchens über die Bahn für den Vertrieb (1866/68)

- wachsender Absatzmarkt Ruhrgebiet

- geringes Investitionsvolumen – vergleichsweise geringes unternehmerisches Risiko

- Konsumartikel für die Arbeiterschaft

 

keine industrielle Ausformung:

- Übernahme der Verlagswirtschaft (zentraler Einkauf, dezentrale Produktion, zentraler Vertrieb)

- arbeitsteilige Arbeit wie im Manufakturwesen des 18. Jahrhunderts 

- keine Maschinisierung (strom- oder dampfbetriebene Maschinen), sondern Handarbeit

 

 

3.     Zu Hause und in der Fabrik

 

Produktionsstruktur bis zum I. Weltkrieg:

-          zu Hause und in der Fabrik : die ganze Familie arbeitete mit (Kinder, Frauen; 5 Morgen waren notwendig, um das Überleben der Familie zu sichern – die wenigsten hatten so viel)

-          bedeutend: preußischer Staat lenkte durch Hygiene- und (gewerbliche) Arbeitsplatz-vorschriften

-          1888/93 Mindestanforderungen an Arbeitsräume  für Nicht-Familienangehörige

-          1891: Beschäftigungsverbot für Kinder unter 13 Jahren

-          Beschränkung der Arbeitszeit für Frauen

-          vorbereitende Arbeiten (Entrippen und Verkleinern) in die Privathäuser

-          Arbeitsteilung Frauen (vor- und nachbereitende Arbeiten, schlechter bezahlt), Männer Akkordarbeiter (besser bezahlt)

-          Fabrikgrößen: 1888 (Kauwertz/Kaftan) : 46,53 qm 23 Arbeitsplätze, auf Antrag 27 - 1889 (Holtvoeth): 57,19 qm 24 Arbeiter

-          1907/13: Vorschriften für Hausarbeitsräume (Trennung von Arbeits- und Wohnbereich)

-          Lohnkosten: 35% des betrieblichen Kosten

 

Betriebliche Struktur: (Fa Dammer 1908):

-          Arbeitszeit: 10 stunden Mo-Sa, morgens/nachmittags 30 Minuten Pause, mittags 90 Minuten; nach der Arbeit 30 Minuten Betriebsreinigung

-          Frauen: Vorabend von Sonn-Feiertagen 1 Stunde früher frei

-          Samstags bis 17.00 h

-          Unter 18 Jahren: Freistellung für Gewerbeschule

-          Löhnung samstags, für Akkordarbeiter donnerstags

-          Bei Krankheit keine Lohnfortzahlung

-          Arbeitervertretung: Arbeiterausschuss mit 3 Personen

Nach dem I. Weltkrieg: einsetzende Maschinisierung und Änderung des Konsum-verhaltens (Zigarette), in Kaldenkirchen bereits Zeit des Niedergangs, hier nach wie vor Handarbeit wie vor dem I. Weltkrieg, Ursache für den Niedergang

-          1918: 8-Stunden-Tag

-          1919/20: Entrippmaschinen, Wickelmaschinen daran anschließend

-          Chemische Behandlungsmethoden

-          halb-/automatische Wickelstühle

-          Verpackungsmaschinen

 

Sozialpolitische Entwicklung: Gründung des christlich-sozialen Tabak- und Zigarrenar-beiterverbandes 1899 und der große Streik 1901: die Arbeiterschaft gewinnt an politi-schem und sozialpolitischem Selbstbewusstsein

-          1890: Gründung des Volksvereins für das katholische Deutschland

-          1898:  Gründung christl.  Textilarbeiterverband in Krefeld

-          1899 Delegiertentagung in Mainz (Diskurs mit Bischöfen (ökumenisch) Mainzer Leitsätze)

-          Streit um Entlassung eines Arbeiters anl. Lohnverhandlungen führt zu einem 10wöchigen Streik von 1901 und zur

-          Gründung der Genossenschaftsfabrik des christlich-sozialen Tabak- und Zigarrenarbeiter-verbandes, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung (1902: 4o Arbeiter)

-          ein Beispiel: Heinrich Schmitter (1876-1960): Zentrumspolitiker, Gewerkschaftsgründer, Genossenschaftsmitglied, Kirchenvorstand, Brudermeister der Kevelaerwallfahrt

 

Volkswirtschaftliche Kriterien, die das Wachsen eines importanhängigen Luxus-Konsum-Artikels beeinflussen

 

Eine kleine Statistik der Fabriken- und Beschäftigtenzahlen 1865-1972 (Folie)  

 

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