I. Teil: Grundsätzliches
1. Drei
Vorbemerkungen
- Die Vorgeschichte eines
Luxusartikels
Der Tabak gelangte aus Amerika
durch Kolumbus & Co nach Europa und wurde dort seit dem 16. Jahrhundert
angebaut. Tabacco bezeichnete zunächst die Rauchröhre der Indianer (Pfeife).
Das Rauchen kam an den Höfen rasch in Mode, zunächst unter Philipp II. in
Spanien (auch als Zierpflanze), Frankreich und England (Sir Walter Raleigh
1586 – Anekdote)). Tabak wächst in Tropen und gemäßigten Zonen und ist sehr
frostempfindlich. Robuste sog. Bauerntabake (grüne, schwarze) kommen auch in
kühleren Regionen vor. Im 17. Jahrhundert verbreiteten schwedische Soldaten
das Rauchen in Europa.
In Preußen wurde 1720 die
erste Tabakfabrik errichtet.
- Tabakkonsum
Verwendung
- als Rauchtabak: in Pfeifen
(Feinschnitt)
- als Zigarre/Zigarillo:
ursprüngliche in Amerika verwandte Rauchkultur: einrollen in Tabakblätter
(Wickel/Puppe, Umblatt, Deckblatt), heute zumeist maschinell aus gemahlenem
Tabak hergestellte Folie
- als Zigarette: Feinschnitt,
ursprünglich von Maisblättern umwickelt, dann mit Papier
- als Kautabak (Pfriem)
3. Tabakgeschichte
- zunächst als Pfeifenrauchen und
Kautabak
- seit dem 18. Jahrhundert
kommt die Zigarre auf (französische Soldaten), 1788 in Hamburg erste
Zigarrenfabrik, seit Mitte des 19. Jahrhunderts große wirtschaftliche
Bedeutung (Symbol des Kapitalisten)
- Zigarette (Zigarillo anders
verarbeitet): ursprünglich mit Mais umwickelt (Zentralamerika) beim
Krimkrieg (1853-56) erstmals in Europa verbreitet, Importe aus Russland und
der Türkei nach Europa; 1862 erste Zigarettenfabrik bei Dresden;
Zigarette als Massenkonsummittel im 20. Jahrhundert
2.
Ein zugelaufenes Kind aus
dem Jahre 1865
-
Tabakanbau und –verarbeitung hatten in Kaldenkirchen im Unterschied
zur Textil– und Tonverarbeitung keine natürlichen Grundlagen.
-
Tabakkonsum ist im Unterschied zu Textil und Ton kein Produkt der
unmittelbaren Daseinsvorsorge, sondern ein Luxusartikel.
-
Zigarrenkonsum war auch ein Symbol für einen sozialen Aufstieg, das
klassische Epiteton eines Kapitalisten im 19. Jh. – eine Ausweitung des
Zigarrenkonsum ‚für kleine Leute’ war auch ein sozialpolitisches Zeichen.
-
Die Ansiedlung der Tabak- und Zigarrenindustrie ist Produkt einer
wirtschaftshistori-schen Gemengelage in der Mitte des 19. Jahrhunderts: ein
zugelaufenes Kind der Kaldenkirchener Wirtschaftsgeschichte
Vorläufer:
1823: Tabaksfabrikant Meinhard
Zillessen pachtet 1823 Gendarmeriegebäude (ehem. Kloster)
Fabrik von Taback und
Cichorien nebst Handel mir Spezerei- und Materialwaren
(Kolonialwarenhandel). 1858 schließt Heinrich Cornel Kauwertz eine
Cigarrenfabrik
5 Rahmenbedingungen zum
Durchstarten für die Entwicklung einer monostruktur-haften Tabaks- und
Zigarrenindustrie:
- Entwicklung des Ruhrgebietes
(Stahl-, Kohleindustrie mit hohen Löhnen) und Veränderung des Arbeitsmarktes
ebendort, Verlagerung von der Rheinschiene einschl. Strukturen (z.B. Tabak
aus Bremen und Hamburg, nicht aus den Niederlanden)
- Niedergang der Textilwirtschaft
und arbeitsloses Arbeitnehmerpotential in Kaldenkirchen
- verkehrliche Anbindung
Kaldenkirchens über die Bahn für den Vertrieb (1866/68)
- wachsender Absatzmarkt
Ruhrgebiet
- geringes Investitionsvolumen –
vergleichsweise geringes unternehmerisches Risiko
- Konsumartikel für die
Arbeiterschaft
keine industrielle Ausformung:
- Übernahme der Verlagswirtschaft
(zentraler Einkauf, dezentrale Produktion, zentraler Vertrieb)
- arbeitsteilige Arbeit wie im
Manufakturwesen des 18. Jahrhunderts
- keine Maschinisierung (strom-
oder dampfbetriebene Maschinen), sondern Handarbeit
3.
Zu Hause und in der Fabrik
Produktionsstruktur bis zum I.
Weltkrieg:
-
zu Hause und in der Fabrik : die ganze Familie arbeitete mit (Kinder,
Frauen; 5 Morgen waren notwendig, um das Überleben der Familie zu sichern –
die wenigsten hatten so viel)
-
bedeutend: preußischer Staat lenkte durch Hygiene- und (gewerbliche)
Arbeitsplatz-vorschriften
-
1888/93 Mindestanforderungen an Arbeitsräume für
Nicht-Familienangehörige
-
1891: Beschäftigungsverbot für Kinder unter 13 Jahren
-
Beschränkung der Arbeitszeit für Frauen
-
vorbereitende Arbeiten (Entrippen und Verkleinern) in die
Privathäuser
-
Arbeitsteilung Frauen (vor- und nachbereitende Arbeiten,
schlechter bezahlt), Männer Akkordarbeiter (besser bezahlt)
-
Fabrikgrößen: 1888 (Kauwertz/Kaftan) : 46,53 qm 23 Arbeitsplätze, auf
Antrag 27 - 1889 (Holtvoeth): 57,19 qm 24 Arbeiter
-
1907/13: Vorschriften für Hausarbeitsräume (Trennung von Arbeits- und
Wohnbereich)
-
Lohnkosten: 35% des betrieblichen Kosten
Betriebliche Struktur: (Fa Dammer 1908):
-
Arbeitszeit: 10 stunden Mo-Sa, morgens/nachmittags 30 Minuten Pause,
mittags 90 Minuten; nach der Arbeit 30 Minuten Betriebsreinigung
-
Frauen: Vorabend von Sonn-Feiertagen 1 Stunde früher frei
-
Samstags bis 17.00 h
-
Unter 18 Jahren: Freistellung für Gewerbeschule
-
Löhnung samstags, für Akkordarbeiter donnerstags
-
Bei Krankheit keine Lohnfortzahlung
-
Arbeitervertretung: Arbeiterausschuss mit 3 Personen
Nach dem I. Weltkrieg:
einsetzende Maschinisierung und Änderung des Konsum-verhaltens (Zigarette),
in Kaldenkirchen bereits Zeit des Niedergangs, hier nach wie vor Handarbeit
wie vor dem I. Weltkrieg, Ursache für den Niedergang
-
1918: 8-Stunden-Tag
-
1919/20: Entrippmaschinen, Wickelmaschinen daran anschließend
-
Chemische Behandlungsmethoden
-
halb-/automatische Wickelstühle
-
Verpackungsmaschinen
Sozialpolitische Entwicklung:
Gründung des christlich-sozialen Tabak- und Zigarrenar-beiterverbandes 1899
und der große Streik 1901: die Arbeiterschaft gewinnt an politi-schem und
sozialpolitischem Selbstbewusstsein
-
1890: Gründung des Volksvereins für das katholische Deutschland
-
1898: Gründung christl. Textilarbeiterverband in Krefeld
-
1899 Delegiertentagung in Mainz (Diskurs mit Bischöfen (ökumenisch)
Mainzer Leitsätze)
-
Streit um Entlassung eines Arbeiters anl. Lohnverhandlungen führt zu
einem 10wöchigen Streik von 1901 und zur
-
Gründung der Genossenschaftsfabrik des christlich-sozialen Tabak- und
Zigarrenarbeiter-verbandes, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter
Haftung (1902: 4o Arbeiter)
-
ein Beispiel: Heinrich Schmitter (1876-1960): Zentrumspolitiker,
Gewerkschaftsgründer, Genossenschaftsmitglied, Kirchenvorstand,
Brudermeister der Kevelaerwallfahrt
Volkswirtschaftliche
Kriterien, die das Wachsen eines importanhängigen Luxus-Konsum-Artikels
beeinflussen
Eine kleine Statistik der
Fabriken- und Beschäftigtenzahlen 1865-1972
(Folie)
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