- JUBILÄUMSJAHR  2006  IN KALDENKIRCHEN -

Eröffnungsveranstaltung
Samstag, den 26. Nov. 2005 - 17:00 Uhr

 
 

PROGRAMM

Ensemble für Alte Musik "Cantasona"

 
 

 

 
 

Bürgermeister der Stadt Nettetal
Christian Wagener

 

  Ausblick auf das Programm im Jubiläumsjahr

Ausblick auf das Programm im Jubiläumsjahr

 

 

 

Rede von Prof. Dr. Leo Peters bei der Eröffnungsveranstaltung
  Samstag, den 26. Nov. 2005 - 17:00 Uhr
 

Meine sehr verehrten Damen und Herren !

 Kaldenkirchen feiert die urkundliche Ersterwähnung vor 800 Jahren. Man kann dies laut und ausgelassen tun und sich darauf beschränken, den vielen Veranstaltungen unserer Spaßgesellschaft eine weitere bierselige hinzuzufügen, man kann dies aber auch nutzen zur Vermittlung von Wissen über unsere Geschichte, zur Beschäftigung mit ihren Höhen und Tiefen und zur Besinnung in Bescheidenheit auf die Tatsache, dass wir nichts anderes sind als ein Glied in einer Kette von rund 30 Generationen in der Geschichte unserer kleinen Stadt. Dieser Part kommt mir heute für eine knappe halbe Stunde zu.

 In dieser Zeit kann ich nur einige Aspekte andeuten, nicht mehr und nicht weniger. Aber bei aller besonders für den Historiker gebotenen Nüchternheit soll doch gesagt sein, dass wir alle gemeinsam stolz sein können auf eine achthundertjährige Vergangenheit und am Ende dieser Veranstaltung mit besonderem Recht und mit großer Genugtuung das „Viele Hundert Jahre“ anstimmen dürfen.

 Bei Ersterwähnungen eines Ortsnamens regiert der historische Zufall.

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Name „Kaldenkirchen“ schon vor 1206 auf Pergament geschrieben worden. Und sicher ist, dass es den Ort schon lange vorher gab. Um das Jahr 1000 dürfte es hier schon eine Kirche gegeben haben.

 Aber Zufall, Wahrscheinlichkeit, Sicherheit hin und her: in den vorhandenen bekannten Quellen zur Geschichte Kaldenkirchens kommt der Ortsname erstmals 1206 vor, und zwar in einer Vereinbarung über die künftige Ehe zwischen Graf Gerhard IV. von Geldern mit der brabantischen Herzogstochter Margaretha.

 Den Text der Urkunde kennen wir aus dieser mittelalterlichen Abschrift im Königlichen Generalarchiv in Brüssel. Sie ist nicht besonders ansehnlich:

 

Umso ansehnlicher ist das Bildnis der beiden hochherrschaftlichen Eheleute, zu deren Besitz das damals geldrische Caldenkirken superius, also Oberkaldenkirchen, gehörte. Das Hochgrab vor dem Chor der Münsterkirche von Roermond ist eines der bedeutendsten seiner Art in den Niederlanden und zeigt liegend in edlen Gewändern den Grafen Gerhard von Geldern und seine Frau Margaretha, die Herzogstocher von Brabant.

 Machen wir uns beim Anblick dieses wertvollen Denkmals des 13. Jahrhunderts klar: dies sind die ersten namentlich benannten Herrscher über Kaldenkirchen, das damals als Hochzeitsgabe an den jungen geldrischen Grafen gegeben wurde.

 

Wir befinden uns im Hohen Mittelalter: Kaiser Barbarossa war erst 16 Jahre tot. In Rom saß Papst Innocenz III. auf dem Stuhl Petri, die Gotik hatte ihren Siegeszug noch nicht begonnen. In der Literatur war die Minnedichtung auf ihrem Höhepunkt und weit im Osten wählten 1206 mongolische Fürsten Dschingis Khan zu ihrem Oberhaupt.

 Wie groß Kaldenkirchen damals war, wie das wichtigste Gebäude, die Kirche, aussah, und alle anderen denkbaren Fragen: wir können sie nicht beantworten. Die Quellen geben es einfach nicht. Immerhin wird der Ort in einer zweiten Erwähnung aus dem Jahre 1230 villa genannt, was hier so viel wie Dorf bedeutet. Feste Strukturen sind nur bei der Pfarre zu unterstellen, wie überhaupt die weltliche Gemeinde und die Gemarkung aus dem Pfarrsprengel hervorgeht.

 

 Am Ende des Jahrhunderts, 1291, wird erstmals die Pfarre von Kaldenkirchen genannt.

Die Geschichte der Pfarre steht in der frühen Zeit klarer vor Augen als die der weltlichen Gemeinde. Zum Beispiel können wir alle Pastöre mit relativ vielen biographischen Daten seit 1343 benennen. Und es waren bedeutende darunter: Hermann von Rennenberg, der während seines Studiums zusammen mit Erasmus von Rotterdam in einem Hause in Freiburg gewohnt hatte, oder Nikolaus von Nievenheim, dessen für den Abt von Steinfeld gestiftete Glasmalerei heute im berühmten Victoria- and Albert Museum in London zu sehen ist. Pastor Schnitzler, Sie sind der 36. in dieser respektgebietenden Reihe und bekleiden damit das mit Abstand älteste Amt in Kaldenkirchen.

 Dennoch möchte ich die Kirchengeschichte hier nicht zu sehr vertiefen, sondern zunächst kurz auf die staatlichen Verhältnisse eingehen.

 Der nordöstliche geldrische Teil des Ortes und der vormals den Grafen von Kessel an der Maas gehörende südwestliche Teil kamen im frühen 14. Jahrhundert, also vor rund 700 Jahren unter die Herrschaft der Grafen und späteren Herzöge von Jülich. Zum Herzogtum Jülich gehörte Kaldenkirchen bis zum Einmarsch der Franzosen 1794, ein halbes Jahrtausend fast. Mehr als die Hälfte der nachvollziehbaren Geschichte Kaldenkirchens fand somit im Zeichen der Machtausübung und der Landesherrschaft eines mittelgroßen Territoriums des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation statt, das von Landesherren beherrscht wurde, die bald von Jülich, von Kleve und besonders lange von Düsseldorf aus regierten. Später wurden wir sogar von Mannheim und München aus regiert. Seit 1609 waren die bayerischen Herzöge von Neuburg an der Donau zugleich Herzöge von Jülich. Das Herzogtum Jülich war das, wenn es auch für unsere Ohren fremd klingt, Vaterland unserer Vorfahren. Dort wo heute die A 61 zwischen Breyell und Kaldenkirchen verläuft, verlief bis 1794 die Landesgrenze zwischen den Herzogtümern Geldern und Jülich. Einige Ältere mögen sich noch an die Landwehr genannte Grenzanlage erinnern, die in von knorrigen Bäumen bestandenen Erdwällen in Resten noch zu meiner Kindheit in der Nähe des Altenhofes zu sehen war.

 

 Die Leuther und Lobbericher waren im Verhältnis zu uns Ausländer, dagegen waren die Tegelner und Breyeller unsere Landsleute, denn sie gehörten mit uns zum jülichschen Amt Brüggen, der unteren Herrschafts-, Gerichts- und Verwaltungsebene. Halten wir also fest: staatliche Herrschaft haben unsere Vorfahren fast ein halbes Jahrtausend lang mit der Brüggener Burg, der alten Hauptstadt Jüich und später vor allem mit  Düsseldorf verbunden.

 Ein nach den Maßstäben der Zeit selbstverwaltetes Gemeinwesen wurde Kaldenkirchen erst nach und nach. Ein schönes Beispiel habe ich Ihnen dafür mitgebracht. Es war zugleich einer meiner freudigsten und überraschendsten Archivfunde, die ich während der Jahrzehnte meiner Arbeit an meiner Stadtgeschichte machen konnte.

 

Im Reichsarchiv von Limburg in Maastricht liegt eine Urkunde aus dem Jahre 1487. Darin nehmen die Kaldenkirchener einen Kredit beim Kreuzherrenkloster in Venlo auf, um ihren Kirchturm zu bauen, der ja als Wachturm und Ort einer verbindlichen Zeitangabe überwiegend weltliche Aufgaben erfüllte. Wer repräsentiert  darin die Gemeinde ? Arnt Spede, der Besitzer des Altenhofs und Vorfahr der heute noch blühenden Grafen von Spee, die gemeinen Schöffen, Geschworenen, Kirchmeister und Kirchspielsleute von Kaldenkirchen. Also noch keine Bürgermeister, noch kein Stadtrat.

 

Das wird sich bald ändern. Doch zuvor noch der Hinweis, dass Kaldenkirchen in gerichtlichen Dingen eine Einheit mit Bracht bildete. Sieben Schöffen, vom Landesherrn eingesetzt, bildeten das gemeinsame Gericht. Bracht stellte dabei vier und Kaldenkirchen drei Schöffen.

 

Ein eindrucksvolles, ungewöhnlich großes Siegel als Beglaubigungsmittel und gleichermaßen Hoheitszeichen dieses Kollegiums ist in mehreren Exemplaren erhalten. Im Pfarrarchiv Bracht wird sogar der Siegelstempel aufbewahrt. Es zeigt links den jülichschen Löwen und rechts die thronende Gottesmutter als Patronin von Bracht.

 

Im 17. und 18. Jahrhundert bilden sich nach und nach klarere Selbstverwaltungsstrukturen in Kaldenkirchen heraus. Ein äußeres Kennzeichen dafür ist ein eigenes Kaldenkirchener Schöffensiegel, das als Wappenbild den Hl. Clemens, den Patron der Kaldenkirchener Kirche, zeigt und ein weiteres Mal andeutet, das religiöse Symbolik in dieser Zeit, als das gesamte menschliche Dasein sub specie aeternitatis (im Lichte der Ewigkeit) gesehen wurde, auch das weltliche Leben durchdrang.

 

Das auf diesem Bild - leider nicht abgebildet -  zu sehende Siegel ist ein früher Beleg aus dem Jahre 1628. Der heilige Clemens, er war der vierte Papst und der dritte Nachfolger Petri, ist mit Tiara, Hirtenstab und Anker dargestellt. Mit dem Anker übrigens deshalb, weil er der Legende nach mit einem Anker im Meer versenkt wurde und so den Martyrertod starb.

 
 

Ein wesentlicher Hinweis auf stadtähnliche Strukturen, die Kaldenkirchen insbesondere in der Zeit um 1600 annahm, war die Befestigung. Sie bot natürlich nur Schutz vor kleineren Überfällen und Angriffen, aber immerhin war sie auch so markant, dass Kaldenkirchen ab 1600 als Festung bezeichnet wird. Vier Bastionen, drei Tore und eine Wall- und Grabenanlage hoben jetzt den Siedlungskern der Gemarkung von Kaldenkirchen gegen das Umland ab.
 

 Ein wenig spürt man noch von dem alten Rechtsgrundsatz „Die Mauer trennt den Bürger vom Bauern“, was soviel heißt, dass die Untertanen innerhalb des befestigten Bereichs nach anderen Vorschriften lebten, als die außerhalb. Denn auch in Kaldenkirchen hatten die außerhalb der Festung lebenden Bürger zum Beispiel keinen Zugang zum sich gleichzeitig mit der Befestigung herausbildenden Amt des Bürgermeisters.

 

Und es waren viele Kaldenkirchener, die nicht innerhalb der Festung wohnten. Diese ebenfalls in Maastricht erhaltene handgezeichnete Karte des Ortes von 1775 zeigt die Ausdehnung der Gemarkung, deutet Besiedlungsschwerpunkte etwa am Bruch an und lässt erkennen, wie klein die Festung selbst gemessen am Gemeindegebiet war.

 

Dem rührigen Birgittinerprior und Kaldenkirchener Pastor Aegidius Heinßen verdanken wir die Niederschrift des Verfahrens zur Ermittlung der Bürgermeister von Kaldenkirchen. 1619 wird erstmals ein Bürgermeister genannt. Seine einjährige Amtszeit wurde durch eine Wahl am Dreikönigstag eingeläutet, bei der im Falle von Stimmengleichheit der Wahlmänner der Pastor mit seiner Stimme den Ausschlag gab.Anno 1686 den 6. Jan. ist zum Burgermeister erwehlet worden  Derich Wiemers. Anno1687 Lenhard auf gen Nist (woraus sich später der Name Nisters entwickelt).

 

Freilich waren die Aufgaben der Bürgermeister recht überschaubar: dazu gehörte auch die Verfügung über die Schlüssel der Stadttore.

 

Die Zuständigkeit für die Schule und die Armenpflege lag bei der Kirche.

 

Bürgermeister, Schöffen und Geschworene des Fleckens Kaldenkirchen sind fortan für bestimmte Inhalte der Selbstverwaltung zuständig, wenngleich jeder Vergleich zu heutigen Gegebenheiten mit Vorsicht anzustellen ist.

 Bisweilen freilich konnte die Zuständigkeit bis in den Bereich der Gesundheitsvorsorge gehen.

 

Aus dem späten 18. Jahrhundert hat sich ein insoweit interessantes Dokument erhalten. Der Bürgermeister und die Schöffen, bestätigen, dass in Kaldenkirchen reine, gesunde und mit keiner Contagion (also mit keiner ansteckenden Krankheit) inficirte Luft war. Bescheinigt wurde das für den Tabakhändler Wilhelm Janßen, der in den umliegenden Orten seinen Handel trieb und in einer Zeit der Seuchen und Epidemien offenbar diese amtliche Bestätigung benötigte, um eingelassen zu werden.

 

So unvollkommen die Gesundheitsvorsorge unserer Vorfahren zu dieser Zeit war, so gering war auch der Bildungsstand. Zwar ist seit 1560 eine Schule in Kaldenkirchen nachzuweisen, aber man war weit davon entfernt, dass alle Erwachsenen lesen und schreiben konnten. Mitgebracht habe ich diese Urkunde von 1627, die von allen Geschworenen des Ortes, also immerhin von herausgehobenen Personen, unterzeichnet ist. Keiner von ihnen konnte seinen Namen schreiben. Ihre Identität bezeugen sie mit einem sogenannten Mirck oder Merkzeichen, das ungelenk mit eigener Hand zwischen den von anderer Hand aufgezeichneten Vor- und Familiennamen gekritzelt wurde. In dieser Urkunde waren  nur der Kaplan und der Küster des Schreibens mächtig.

 

Meine Damen und Herren, immer wenn ich auswärtige Gruppen durch Kaldenkirchen und zu seinen historischen Stätten führe, sage ich eingangs, dass die Geschichte dieser Stadt  im Vergleich zu zahlreichen anderen Gemeinden der Nachbarschaft sehr viel Normales und Unspektakuläres aufweist. Zwei Merkmale sind es dagegen, die das Besondere an Kaldenkirchens Geschichte ausmachen: die Grenzlage und die konfessionelle Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert.

Seit 1533 wissen wir von reformatorischen Tendenzen, die um 1560/70 in eine reformierte, nach den Lehren des Schweizer Reformators Johann Calvin verfasste Gemeinde mündeten. Sie konnte die schweren Jahrzehnte bis zum Ende des 30jährigen Krieges überstehen und schließlich das Recht zu freier Religionsausübung erreichen.

Trotz Minderheitenstatus und Benachteiligung beim Zugang zu öffentlichen Ämtern bildete sich seit dem 17. Jahrhundert eine örtliche evangelische Oberschicht heraus, die kulturell und wirtschaftlich, und im 19. Jahrhundert auch kommunalpolitisch dominierend war. Mit ihr verbinden sich Namen wie Poensgen, Schmasen, von der Kuhlen, Zilllessen, Kauwertz und andere.

 

Dieses Bild drückt gleichsam architektonisch das Nebeneinander und auch den Gegensatz der großen katholischen Gemeinde und der Minderheit der Evangelischen im Ort aus. 

Nicht eingehen kann ich aus Zeitgründen auf die wichtige Rolle des 1625 gegründeten Birgittenklosters Mariafrucht, das als Gegengewicht zu den erstarkenden Protestanten errichtet wurde. Zu diesem ganzen Komplex wird es im Februar eine eigene Vortragsveranstaltung geben. Birgitta von Schweden und ihr Orden werden außerdem im Sommer Gegenstand einer eigenen Ausstellung sein.

 Machen wir einen großen Sprung mitten ins 19. Jahrhundert, zum zweiten Anlass unseres Festjahres 2006. Ich übergehe damit –im Grunde unzulässigerweise-  die große Umbruchzeit der Französischen Einverleibung des Rheinlandes, die napoleonische Zeit mit all´ ihren Verwerfungen wie der zwangsweisen Schließung des Birgittenklosters Mariafrucht im Jahre 1802. – Ein Vortrag von Prof. Dr. Jörg Engelbrecht in Kaldenkirchen im Februar wird diese Zeit für alle Interessierten beleuchten.

 

 Mit dem hier gezeigten Allerhöchsten Erlass König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen wurde Kaldenkirchen zu jenen Orten gezählt, die auf dem Provinziallandtag im Stande der Städte vertreten waren. Kaldenkirchen war fortan auch amtlich und mit königlicher Zustimmung eine Stadt. Dieser Schritt spiegelt nicht zuletzt auch eine gewisse zentralörtliche Bedeutung der Grenzstadt wieder, wie sie besonders in der bedeutenden Steuer- und Grenzbehörde Hauptzollamt zum Ausdruck kam, außerdem ihre infrastrukturellen Fortschritte.


 

 Eröffnung Bahnlinie. Für die Bevölkerung viel wesentlicher, für ihren Alltag viel spürbarer als die Stadtrechtsverleihung war der Anschluss Kaldenkirchens an das internationale Schienenverkehrsnetz. Die Eröffnung der Bahnstrecke Venlo-Kaldenkirchen vor 140 Jahren wurde von den Kaldenkirchener für damalige Verhältnisse zurecht als Anbindung an die Welt empfunden und lebhaft begrüßt. Die hier gezeigte Einladung zum Festzug und den großen Feierlichkeiten in Venlo galt natürlich nur für Honoratioren. Carl Stelkens aus der alten Posthalterfamilie war einer von ihnen. Ohne den Bahnanschluss hätte Kaldenkirchen längst nicht jenen Aufschwung auf vielen Gebieten genommen, den wir in den kommenden Jahrzehnten verzeichnen können.

 

Lithographie. Und so präsentierte sich Kaldenkirchen in der frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Fremden von der Südseite, also grob gesagt etwa von dem Standort, wo wir uns zur Zeit befinden: ein teilweise noch von einer Mauer umgebener Ort, mit einer von den beiden Kirchtürmen geprägten Silhouette, dazwischen ein Schornstein als Hinweis auf die begonnene Industrialisierung, andererseits aber Landwirtschaft bis dicht an die Stadt. Alles in allem ein überschaubares, geschlossenes Gemeinwesen, in dem die Kirche noch mitten im Dorf ist.

 

Wilhelm II. Seit 1814 war Kaldenkirchen preußisch. Hatte später auch der Kulturkampf tiefe Wunden bei den Katholiken geschlagen, war auch die Zuneigung zum protestantischen Herrscherhaus wohl nie von der Innigkeit, die im Falle einer katholischen Dynastie zu erwarten gewesen wäre, man arrangierte sich mit den Verhältnissen – und die grenzbedingt zahlreiche Beamtenschaft tat ein Übriges zur Hebung patriotischer Gesinnung. Selbstverständlich feierte die politische Klasse der Stadt jährlich den Geburtstag des Kaisers. Einladungen zum Festessen wie diese sind für die Zeit kurz nach 1900 im Stadtarchiv erhalten.

 

Kaldenkirchener Jugendwehr Und der Hurra-Patriotismus fand auch Einzug in die sonst beschaulichen Gassen. 1913 erlebte der Ort die pompöse Einweihung eines Kriegerdenkmals und 1914 posierten Kaldenkirchen Jungen im Bereich der Kreuzung Kehrstraße, Poensgenstraße, Jahnstraße mit einem Schild, das den Fall Antwerpens bejubelt. Mag das auch sehr inszeniert wirken, die Grenznähe hat gewiss dazu beigetragen, dass nationalistische Untertöne hier leichter Eingang fanden als in anderen Orten der Nachbarschaft.

 

 

Nach dem Ersten Weltkrieg war die hier als bitter empfundene belgische Besatzung ebenfalls geeignet, nationalistische Empfindungen zu pflegen und der Nationalsozialismus, der in seinem Denken und Handeln so wenig der mehrheitlich vom katholischen Glauben bestimmten Bevölkerung entsprach, fand doch Eingang und hatte ebenfalls nicht zuletzt in Teilen der Beamtenschaft eine kräftige Stütze. So ging auch das dunkelste Kapitel dieser Zeit nicht an Kaldenkirchen vorbei: auch hier wurde die jüdische Gemeinde ausgemerzt, ihr Gotteshaus brutal zerstört.

 Synagogenruine. Für alles dies zahlte die Stadt einen hohen Preis. Bombardierungen, Zerstörungen, Evakuierung und Plünderungen sind zu nennen. Durch die Aufnahme überdurchschnittlich zahlreicher Vertriebener aus den deutschen Provinzen östlich von Oder und Neiße entstanden viele materielle, und große Integrationsprobleme, die nach meinem Eindruck aber vollkommen gemeistert worden sind. Eine große Gemeinschaftsleistung der gesamten Bevölkerung, die heute kaum noch bedacht wird.

 

Gebietsabtretungen. Und nach 1945 war es noch nicht einmal sicher, dass große Teile des Ortes nicht zu den Niederlanden geschlagen wurden. Sie sehen hier die niederländischen Gebietsforderung, die Kaldenkirchen entweder durch die Kleinbahn oder gar mitten im Ort geteilt sein lassen sollte. 

„Brücke zu den Niederlanden“. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund haben wir allen Grund zu Dankbarkeit und Freude, dass die Grenze ihren trennenden Charakter weitgehend verloren hat und wir uns heute, immer noch in der Tradition dieser Werbebroschüre aus den 50er Jahren als “Brücke zu den Niederlanden“ verstehen – als Bestandteil der 1970 aus der Taufe gehobenen Stadt Nettetal, die sich ihrerseits als europäische Stadt versteht.

 

Meine Damen und Herren!

Dies war weniger ein Durchgang, als ein Durchlauf durch 800 Jahre Kaldenkirchen. An viele Stationen musste ich vorbeigehen, an anderen war der Halt eigentlich zu kurz. Aber das vor uns stehende Jahr wird vielfache Gelegenheit der Vertiefung unserer Kenntnis der Geschichte der Stadt bieten. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Angebote auch wahrzunehmen.

Beschäftigung auch mit der Geschichte der eigenen Stadt ist nicht nur kurzweilig, nicht nur informativ, nicht nur spannend, sie kann auch einen Beitrag dazu leisten, die eigene Zeit, die Gegenwart in ihren Ansprüchen und in ihrem Selbstbewusstsein zu relativieren, manches schneller als kurzlebig und oberflächlich zu enttarnen und das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Flüchtige vom Bleibenden zu unterscheiden.

 

Wappen. Schließen wir mit dem heraldisch gelungenen, historisch aussagestarken Wappen von Kaldenkirchen, das 1903 vom Kaiser persönlich genehmigt wurde und mit dem Anker als Hinweis auf den heiligen Clemens die Erinnerung daran wach hält, dass unsere Vorfahren sich stets der Endlichkeit ihrer irdischen Existenz bewusst waren und ihren Lebensmut unter oft dürftigen materiellen Bedingungen aus ihrem Glauben entwickelten.

 

Prof. Dr. Leo Peters
 

 

 

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